Keine friedliche Koexistenz mit China

Die frisch gewählte deutsche EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen

macht neuen Druck auf China zur Chefsache und kündigt für ihren ersten Arbeitstag am Sonntag, 1. 12., ein Telefongespräch mit Beijing zum Thema Menschenrechte an. Anlass sind die Vorwürfe gegen die Volksrepublik im Zusammenhang mit dem chinesischen Anti-Terror-Krieg gegen den Jihadismus in Xinjiang. Auch das Europaparlament wird sich in seiner nächsten Plenarsitzung Mitte Dezember mit der Lage in Xinjiang beschäftigen, teilt der deutsche Vorsitzende des Auswärtigen Parlamentsausschusses, David McAllister, mit. In Berlin geht die transatlantisch orientierte Opposition dazu über, Sanktionen zu fordern: Wahlweise gegen chinesische Politiker oder gegen chinesische High-Tech-Konzerne, die bereits von US-Sanktionen betroffen sind. Kommentatoren sowohl in den USA als auch in Deutschland vergleichen China mit dem NS-Reich. In einer ehemals liberalen deutschen Tageszeitung heißt es, es könne »langfristig keine friedliche Koexistenz« mit der Volksrepublik geben.

Anti-Terror-Kriege

Berliner Regierungsmitglieder sowie Politiker der transatlantisch orientierten Opposition erhöhen unter Bezug auf die Lager in Xinjiang den Druck auf Beijing. Die internationale Gemeinschaft könne vor den Lagern dort »nicht die Augen verschließen«, erklärte bereits zu Wochenbeginn Außenminister Heiko Maas: Die Volksrepublik müsse umgehend Unabhängigen Zugang zu der Region gewährleisten. »Menschenrechte sind nicht verhandelbar und universell gültig«, äußerte Maas. Der Minister hatte zuletzt Ende Oktober Ägypten bereist, um die Kooperation mit der Kairoer Regierung nicht zuletzt in der Migrationsabwehr  zu intensivieren. Dem stand aus Maas' Sicht nicht im Weg, dass in Ägypten bei der Niederschlagung der Proteste gegen den Putsch vom Juli 2013 mutmaßlich mehr als 3.000 Zivilisten von staatlichen Repressionskräften umgebracht worden waren und dass dort anschließend bis heute gut 60.000 Personen aus politischen Gründen inhaftiert worden sowie über 1.500 Menschen aus staatlichem Gewahrsam verschwunden sind. Für die Diskrepanz zwischen den hehren Menschenrechtsforderungen des Außenministers gegenüber Beijing und seiner Billigung eklatanter Menschenrechtsverbrechen seitens verbündeter Staaten liegen zahlreiche weitere Beispiele vor - abgesehen davon, dass die Staatsverbrechen des westlichen Anti-Terror-Kriegs, dessen chinesisches Gegenstück derzeit in Xinjiang stattfindet, bis heute nicht aufgearbeitet sind.

Sanktionen

Dabei werden aus der transatlantisch orientierten Opposition inzwischen auch Forderungen nach Sanktionen gegen China, nach einem Rückzug deutscher Konzerne aus Xinjiang sowie nach einem Boykott chinesischer Unternehmen aus der Überwachungsbranche laut. Bereits am 25. 11. hatte die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Katrin Göring-Eckardt, individuelle EU-Sanktionen gegen die Verantwortlichen für die Lager gefordert.   Am 26. 11. schloss sich dann FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg an: In der Boulevardpresse erklärte sie, Europa müsse den Wert von Freiheit und Menschenrechten deutlich machen und dürfe künftig »keine Aufträge mehr an chinesische Unternehmen vergeben, deren Produkte Kern des Systems uferloser Massenüberwachung in China sind«.

Das richtet sich gegen chinesische High-Tech-Konzerne, die die Trump-Administration kürzlich mit Sanktionen ähnlich denjenigen gegen Huawei belegt hat, um den weiteren Aufstieg chinesischer Firmen auf dem Gebiet avanciertester Informations- und Kommunikationstechnologie zu stoppen. Zudem werden Forderungen nach dem Rückzug deutscher Konzerne aus Xinjiang laut. So wirft etwa die Menschenrechtssprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Margarete Bause, Volkswagen
Mitunterstützung der Menschenrechtsverletzungen in der Region vor, da die Firma ein Werk in Xinjiang betreibt. Implizit stellt sie damit die Forderung nach einem Rückzug des Konzerns in den Raum.      

Pogrome in Ost-Turkestan

Befeuert werden die Sanktionsforderungen insbesondere vom World Uyghur Congress (WUC), einem Dachverband diverser Organisationen der Exiluiguren, der in München ansässig ist. Wie der Präsident des WUC, Dolkun Isa, erklärt, seien Sanktionen »das Mindeste, was die EU und Deutschland tun müssen«; wünschenswert seien »gezielte finanzielle Sanktionen gegen chinesische   Unternehmen, die den Überwachungsapparat in der Uiguren-Region ermöglichen«. Aus den Reihen der Exiluiguren wird traditionell immer wieder die Abspaltung Xinjiangs als ››Ost-Turkestan gefordert. Der Gründungspräsident des WUC, Erkin Alptekin, hatte schon in der Zeit des Kalten Kriegs für den CIA-nahen US-Propagandasender Radio Free Europe / Radio Liberty (RFE/RL) in München gearbeitet sowie später stets Beziehungen nicht nur zu deutschen, sondern auch zu US-Außenpolitikern gepflegt. Dem WUC wird unter anderem vorgeworfen, in die Vorbereitung eines mörderischen Pogroms von Uiguren gegen Han-Chinesen im Juli 2009 in Xinjiangs Hauptstadt Urumqi involviert gewesen zu sein. Damals brachten marodierende Uigurenbanden binnen kürzester Zeit mindestens 134 han-chinesische Zivilisten um und versetzten die nicht-uigurische Bevölkerung in Angst und Schrecken.

In dem Kommentar heißt es weiter, zuletzt hätten zwar »Deutschland und 22   weitere Nationen« das Regime in Beijing kritisiert; die Volksrepublik erhalte jedoch Rückendeckung von 37 Staaten: »Diese Gruppe eint nichts außer ihrer Verachtung von Freiheit und Bürgerrechten. Es ist eine Allianz von Autokraten«,  dies der neue Kampfbegriff für die Volksrepublik und sämtliche mit ihr kooperierenden Staaten, an deren Spitze China steht. Das Blatt druckt ein Bild zweier Blöcke, die grafisch durch einen Riss getrennt werden: Links 22 Staaten Europas, Nordamerikas plus Australien, Neuseeland und Japan; rechts 37 Staaten aus vier Kontinenten, die als Verteidiger des chinesischen Vorgehens gebrandmarkt werden. »Weltweit verschiebt China im Interesse seiner politischen Agenda die Machtverhältnisse«, heißt es in dem erwähnten Kommentar: »Der Klub der Despoten dominiert immer häufiger Debatten in den Vereinten Nationen«. Dem müsse man sich widersetzen: »Die deutschen Beziehungen zu Peking müssen grundsätzlich auf den Prüfstand gestellt werden«. »Im Umgang mit China sei mittlerweile keine Rückkehr zur normalen Tagesordnung mehr möglich«.  

Der Brandkommentar schließt mit der Prognose einer dramatischen, womöglich kriegerischen Konflikteskalation: »Es kann langfristig keine friedliche Koexistenz beider Systeme geben«.  [1]

Bereits Anfang November hatte die deutsche Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer die Entsendung deutscher Soldaten nach Ost- und Südostasien zu einer Machtdemonstration gegen die Volksrepublik China gefordert. »Unsere Partner im Indo-Pazifischen Raum fühlten sich von Beijing zunehmend bedrängt«, behauptete in ihrer Grundsatzrede an der Münchner Bundeswehr-Universität am 7. 11.; es sei daher »an der Zeit, mit unseren Verbündeten Präsenz in der Region« zu zeigen. Die USA, Großbritannien und Frankreich demonstrieren seit geraumer Zeit im Südchinesischen Meer per Kanonenbootpolitik ihre militärische Macht. Darüber hinaus sprach sie sich generell für eine Ausweitung der deutschen Militäreinsätze aus; außerdem müßten ein Nationaler Sicherheitsrat geschaffen sowie der Wehrhaushalt deutlich aufgestockt werden. Laut Kramp-Karrenbauer wird die Bundesregierung die deutsche EU-Ratpräsidentschaft in den Dienst der Militarisierung stellen und ein E3-Format etablieren, das es ermöglicht, eine deutsch-französisch-britische Führung über die EU-Militärpolitik zu etablieren.  [2] 

Anmerkung:

Ganz sicherlich wird sich wohl niemand mit Verstand den Forderungen der Verteidigungsministerin anschliessen wollen, geschweige denn das Kriegsbeil gegen China ausgraben …..

    
[1]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8119/
28. 11. 19

[2]  https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/8099/
8. 11. 19  The Germans to the front